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Neu aus den USA: „muslim rage“

ich habe lang überlegt. Soll ich, oder soll ich nicht.

Ja, es geht ums Brimborium ums Filmchen „Innocence of the Muslims“. Haben Sie es gesehen? Ich schon. Diesen dilettantischen Rundumschlag als Film zu bezeichnen wäre vielleicht übertrieben. Er existiert ohnehin nur als „preview“, Vorschau. Bisher kennt niemand die ganze alberne Schulhofprovokation. Existiert sie überhaupt? Auf jeden Fall: Schlecht gespielt, hölzerner Dialog, billig, dumm.

Ich gehe davon aus, dass ich hier wahrscheinlich nichts Neues über diese immer surrealer werdende Situation (heute bei Google 259 millionen Treffer für „Innocence of the Muslims“) hinzuzufügen habe. Alles wurde schon gesagt – mehrmals.

Ich habe keine Antworte, dafür aber Fragen.

Zum Beispiel: Das kurze Video fristete bei YouTube Monate lang ein einsames Dasein, kaum beachtet. Warum wurde es ausgerechnet erst wenige Tage vom dem 11. Jahrestag des „nine-eleven“ entmottet und ins Arabische übersetzt?

Und: Wer hat es übersetzt – bzw. hat veranlasst, dass es in arabischer Übersetzung dreckgeschleudert durch die Welt wird?

Wer profitiert davon, dass mittlerweile Hunderte von Menschen als Resultat dieses Blödsinns tot sind – die meisten selbst Muslime?

Rückblick: „Mohammed-Karikaturen“. Auch damals mussten viele Menschen aus nichtigen Gründen sterben. Wer kann sich aber noch heute erinnern, dass der Skandal erst dann aufflammte, nachdem zwei dänische Imame, Ahmad Abu Laban und Ahmed Akkari in Richtung Ägypten und Libanon (s. Wikipedia) mit besagten Zeichnungen aufbrachen? Dort angekommen, zeigten sie allerdings nicht nur die zwölf Karikaturen aus dem „Jyllands-Posten“, sondern auch drei zusätzlichen Bilder, die als besonders geschmacklos galten. Erst nachdem die 15 Zeichnungen rumgereicht wurden, ging es los. Nur: Wer hat die drei besonders fiesen Bilder, die nicht im „Jyllands-Posten“ erschienen waren, gezeichnet? Und warum? Diese Fragen wurden, soweit ich weiß, nie befriedigend beantwortet.

Nebenbei: Iran reagierte auf die „Mohammed-Karikaturen“ damals mit einem Bilder-Wettbewerb: Die geschmacklosesten Holocaust-Zeichnungen sollten prämiert werden. Warum ausgerechnet Holocaust-Zeichnungen?

Letzte Woche hatte ich ein sehr offenes und freundliches Gespräch mit zwei Persern aus meinem Bekanntenkreis. „Eins verstehe ich nicht“, sagte einer. „Warum hat die US-Regierung die Veröffentlichung dieses Films nicht gleich verboten?“

„Weil es in Amerika wegen der Redefreiheit keine Vorzensur gibt. In Amerika darf man Hitler öffentlich preisen oder im Radio gegen jede Religion hetzen. Glauben Sie mir aber: Keiner außer vielleicht den üblichen Schwachköpfen hört zu. Aber auch ich habe eine Frage: Warum muss sich eine so große Religionsgemeinschaft wie die islamische jedesmal aus den Fugen geraten, wenn ein paar Idioten mit einer unbeholfenen, albernen Provokation hervortreten? Wäre es nicht würdiger, solche Irritationen einfach zu ignorieren?“

Gestern las ich, dass „Newsweek“ mit einer Titelgeschichte „Muslim Rage“ (muslimische Wut) für Furore sorgte. (Keine Ahnung, warum übrigens). Aber noch wichtiger: Ich habe erfahren, dass „muslim rage“ in den USA zu einem stehenden Begriff wird. Einerseits von jungen Muslimen gebraucht, die eigene „Muslim Rage Comics“ produzieren, um die eigene Frust von der Seele zu schreiben ( eine gute Idee, finde ich. Damit kann man die eigene Situation durch Kunst und Ironie überwinden); andererseits, wenn ich es richtig verstanden habe, von nichtmuslimischen Amerikanern, die „muslim rage“ als Redewendung etwa in der Bedeutung von „Stinkwut“ benutzen. Beispiel: „Ich kriege eine „muslim rage“, wenn mein Wagen nicht anspringt.

Aber wozu diese Rage? Meine Theorie: Die Zahl der Jugendichen ist in vielen muslimischen Ländern sehr hoch, die Bildungschancen hingegen sehr niedrig (geschweige denn die Bildungschancen der Mädchen). Diktaturen fürchten sich stets vor einer gebildeten Jugend (siehe den heutigen Iran).

Entrüstung gegen „gottlose“ westliche Ländern zu schüren, ist ein altbewährtes Mittel, um die Jugend bei Laune zu halten – auch wenn dabei einige zu Tode kommen.

Ich erzähle nichts Neues. Außerdem kennen auch wir im Abendland eine eigene „muslim rage“ bzw. „Christenfurore“, wenn freilich aus früheren Zeiten, als Häretiker, Brunnen vergiftende Juden und diverse Freidenker instrumentalisiert wurden, um von wahren meist wirtschaftlichen Problemen abzulenken.

Sie erinnern sich vielleicht vor ein paar Monaten ans umstrittene Papstbild am Cover der Satire-Zeitschrift „Titanic“. Früher hätte man die unartigen Eulenspiegel dieser streichsüchtigen Redaktion geköpft, gerädert oder gevierteilt wegen dieses pietätslosen Verstoßes gegen Gottes Stellvertreter auf Erden. Im heutigen Deutschland zuckt man stattdessen etwas müde mit den Achseln. Nach einer Woche ist die alberne Provokation ohnehin vergessen. Hätte der Papst die Sache zur Staatsaffäre aufgeblasen, dann wäre erst recht die Hölle los.

Ende der Predigt.

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