You are here

Wissen als Ware – und andere Binsenweisheiten

Bin ich vielleicht der allerletzte Mensch in Deutschland, der kein Smartphone hat? Überbleibsel eines aussterbenden Geschlechtes? Oder gibt es da draußen auch andere wie mich? Ich meine andere, die weder vergreist noch unter sechs Jahren sind?

Diese Fragen hätte ich bis vor etwa einer Woche noch stellen können.

Aber dann hatte ich Geburtstag. Und was schenkte mir meine Frau? Nein, kein Viagra, falls ein Witzbold auf diese Idee käme.

Sie hat mir ein Smartphone geschenkt! Und was für ein Smartphone: Es hat eine richtige Tastatur, die man von unten hinausschieben kann. Kenner bezeichnen diese Tastatur als ein „slide keyboard“. Womöglich auch ein aussterbender Genotypus.

Mit Ehrfurcht betrachtete ich diese unerwartete Gabe und rührte sie zwei Tage nicht an. Irgendwie hatte ich Angst davor. Was heißt „hatte“? Meinen Umgang mit diesem Gebrauchsgegenstand betrachte ich immer noch als schüchtern und vorsichtig. Zugegeben: Mein Sohn kam vorbei, um mir wenigstens erste Hilfe zu leisten.

„Ach“, sagte er, „Dieses Baby ist noch immer mit Gingerbread bestückt.“

„Mit Gingerbread?“ Zu Deutsch „Lebkuchen“.

„Ja, so heißt das alte Android-Betriebssystem. Aber wir machen schnell ein Upgrade zu ice cream sandwich, gell?“

Damit meinte er das neue Android-Betriebssystem, das Kenner als „ICS“ bezeichnen. Ich war beeindrückt. Ohne Witz: Die Benutzeroberfläche von „ICS“ sieht um einiges flotter aus als die vom Lebkuchen.

Mein kleines Smartphone mit eigener richtiger Tastatur ist im Grunde ein Minicomputer, mit dem man auch telefonieren kann. Via WLAN oder übers Handynetz komme ich flott ins Internet, kann surfen wie ein Weltmeister, wenn ich will. Was unter Umständen praktisch sein könnte. Aber wem erzähle ich dies? Das wissen Sie ohnehin schon besser als ich.

Also frage ich lieber etwas, was Sie vielleicht nicht wissen. Zum Beispiel: Wissen Sie was „bloatware“ ist? Zu Deutsch „Blähware“ oder „Aufblähware“. Vielleicht nicht…oder? Dieses Wort ist einer der vielen Neologismen des neuen Zeitalters. Wie „Malware“, „Firmware“, „Freeware“ usw. ist es ein Ableger von „Software“ und „Hardware“.

Mit „Bloatware“ meint man alle nutzlose Anwendungen (sprich „apps“), die man schon vorinstalliert auf einem neuen Smartphone findet. Auf meinem Schätzchen befinden sich, zum Beispiel, ein Golfspiel, mehrere Emailprogramme, Musikdownloadprogramme, Nachrichtenprogramme usw. Auch eine Facebook- und eine YouTube-Schnittstelle sind vorhanden. Alles, was Platz für Besseres wegnimmt. Manches läuft sogar im Hintergrund und entleert den ohnehin stets arg strapazierten Akku.

Der Witz ist: Wer versucht, Bloatware zu löschen, wie ich es mit dem Golfspiel probierte, erfährt in einer bedrohlichen Warnung auf dem Display, dass er damit das Software-Gleichgewicht seines Phones zur Explosion bringen könnte.

Inzwischen habe ich erfahren, dass man eines „rooters“, eines „Entwurzelers“ also, bedarf, um Bloatware effektiv loszuwerden. Der Umgang mit dem „rooter“ sei aber nichts für Anfänger, heißt es. Man solle sich mit dem Golfspiel lieber Frieden schließen, wenn man nicht wisse, wie man „rootet“.

Rückblick: Ende der 1980er Jahre schrieb ich zum ersten Mal einen Artikel über die „Informationsrevolution“. Damals ahnten nur wenige, was mit diesem Begriff gemeint war. Ich zählte zu dieser auserkorenen Gruppe nicht.

Ich habe damals unter „Informationsrevolution“ verstanden, dass so viel Wissen zur Verfügung stehen würde, dass es einem schwindlig werden könnte. Man müsse lernen, eine vernünftige Auswahl zu treffen. Das war meine naive Schlussfolgerung.

Heute ist mir klar, wie naiv ich war. Bill Gates, Steve Jobs und Co. haben damals sehr wohl kapiert, was mit dem Begriff „Informationsrevolution“ gemeint war: nämlich, dass sie über ein Medium verfügten, mit dem sie Wissen in eine Ware verwandeln könnten. Nicht von ungefähr heißt es „SoftWARE“ und „HardWARE“. Die Vordenker der Info.-Rev. haben verstanden, dass man eines Tages Wissenswertes zu einem guten Preis werden verkaufen können. Die kostenlosen Angebote der ersten Jahre dienten nur dem Zweck, uns an die neue Technologie zu gewöhnen. Die „Bloatware“ steckte damals noch in den Windeln.

Nun bin ich als Besitzer eines Smartphones endgültig zum Wissensverbraucher avanciert: Zeitung, Nachrichten, Email – mir alles auch unterwegs verfügbar. Aber alles kostet was. Irgendwie.

Kein Mensch muss sich Sorgen machen, dass er an zu viel Wissen zugrunde gehen wird. Das war nur eine Lockvogelfantasie für die Landeier. Die Tage des exotischen, wunderschön gefährlichen Pflasters namens WehWehWeh sind längst gezählt. Alles bald schön gezähmt und nur gegen Bar – bzw. iBar – zu haben.

Mal ehrlich: War es aber nicht schon immer so – ich meine, was Information und Dienstleistungen betrifft? Wird man nicht in jeder Buchhandlung und in jedem Zeitungsgeschäft und in jedem Kaufhaus auch zur Kasse gebeten?

Add new comment

Filtered HTML

  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Allowed HTML tags: <a> <p> <span> <div> <h1> <h2> <h3> <h4> <h5> <h6> <img> <map> <area> <hr> <br> <br /> <ul> <ol> <li> <dl> <dt> <dd> <table> <tr> <td> <em> <b> <u> <i> <strong> <font> <del> <ins> <sub> <sup> <quote> <blockquote> <pre> <address> <code> <cite> <embed> <object> <param> <strike> <caption>

Plain text

  • No HTML tags allowed.
  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Lines and paragraphs break automatically.
CAPTCHA
This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.