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Heute nur über die kleinen Laster

O schöne deutsche Sprache! Wie kühn, wie einfallsreich, dass zwei Wörter, die sich, wie ein Ei dem anderen gleichen, so unterschiedliche Bedeutungen haben!

Grund für diese Bewunderungsbekundung: Kaum komme ich auf die Idee, von meinem kleinen Laster zu erzählen, so fällt mir ein, dass ein Leser sich fragen könnte: „Warum schreibt der Sprachbloggeur von seinem kleinen Laster, zumal die amerikanischen Laster an sich viel größer sind als die unseren?“

Zwei deutsche Wörter namens „Laster“: das eine ein Mann, das andere ein Ding. Und so ein Ding.

Das nur zur Einleitung, aber jetzt zum kleinen Laster... Nein, doch noch nicht. Denn mir fällt gerade eine Anekdote ein: Ich war einmal bei einem Geistlichen eingeladen (ich verrate hier die Konfession nicht, jedem seine Fantasie). Im Lauf unserer höflichen Unterhaltung kamen wir auf die Laster zu sprechen. Und hier meine ich nicht die „18 Wheelers“ – auch „semis“ (sprich „ssem-meis“) der Country-Western-Lieder (die Sattelzüge der deutschen Autobahn), sondern die „ausschweifenden Lebensweisen“, die das irdische Dasein zeitgleich versüßen und versalzen.

Besagter Geistlicher beteuerte: „Ich möchte es nicht abstreiten. Ja, auch ich habe Laster.“

„Sie?“ fragte ich und wollte so naiv wie möglich klingen, um ihn in die Falle zu locken. „Was könnten Sie für Laster haben?“

„Tja“, antwortete er. „Einmal habe ich, es war am Tag des Herrn, eine Biene getötet, weil sie mich erschreckt hatte. Das halte ich für ein schweres Laster.“

Ich war verwundert, und dachte: Vielleicht hat er doch (er war nämlich ziemlich betagt und döste gelegentlich ganz plötzlich ein) an einen schweren und nicht an ein schweres Laster gedacht. Seine Beichte hat meine Erwartungen jedenfalls herb enttäuscht. Hoffentlich passiert das mir jetzt nicht mit meiner eigenen Laster-Beichte.

In meinem Fall handelt es sich aber wirklich um ein kleines Laster – ein sehr kleines sogar. Wer über meine großen Laster erfahren möchte, dem empfehle ich meine belletristischen Werke. Die sind aber noch nicht erschienen. Doch keine Sorge. Den Neugierigen zuliebe putze ich schon lange eifrig die Klinken zahlloser Verlagshäuser.

Mein kleines Laster hat jedenfalls nichts mit Bienen zu tun. Nein. Mein Laster gilt den Schreibinstrumenten: Ich bin nämlich in Schreibzeug, d.h., mechanische Bleistifte, Füllfederhalter und gelegentlich auch Kugelschreiber vollauf verliebt.

Ist doch logisch. Täglich lasse ich die Finger über eine Tastatur spazieren gehen, die Augen stets auf ein leuchtendes Display fixiert. Manchmal freue ich mich, wenn es auch anders, also stromlos, geht. Lyrik, zum Beispiel, will ich nur mit meinem hübschen mechanischen Bleistift (und nur in englischer Sprache) formulieren. Briefe bring ich am liebsten mit dem Füllfederhalter aufs Papier. Und jetzt wird’s noch persönlicher.

Schon lange sehne ich mir nach einem schönen lasterhaften Füllfederhalter. Für mich aber eine schwierige Suche. Ich bin nämlich Linkshänder. Das heißt: Wenn ich mit einem Füllfederhalter schreibe, hinterlasse ich bisweilen unansehnliche Tintenflecken. Das frustriert den Perfektionisten ungemein.

Aber dann entdeckte ich eines Tages ein Geschäft in der Hohenzollernstraße in München, das sich „Ellenwoods“ nennt. Nein, hier keine Schleichwerbung. Hier die Lebensrettung für einen Menschen, der sein kleines Laster ausleben möchte. Mit Herrn Ellenwood – nicht, so weit ich weiß, sein richtiger Name, teile ich offenbar dieses Laster für Schreibgeräte. Nur: In seinem Fall handelt es sich um ein besonders großes Laster. Denn er hat sein Peccadillo zu einer Lebensaufgabe gemacht. Er kann eifrig und informativ über jedes Schreibinstrument, das es gibt, lange vortragen. Was meine Suche betrifft: Er beteuerte sehr überzeugend, dass es ja einen Füllfederhalter gäbe, der für Linkshänder wie mich geeignet ist – ohne das ich enttäuscht vor dem üblichen Gekleckse stehe. Er legte mir den corpus delecti gleich in die Hand und meinte, ich sollte nun eine Weile damit schreiben. Ja, und es hat tatsächlich funktioniert! „Noch eine Frage, Herr Ellenwood“, sagte ich. „Kann man mit diesem Füllfederhalter so flexibel umspringen wie mit einem Kugelschreiber? Meine bisherigen Füllfederhalter streikten immer, wenn ich mich nicht ständig mit ihnen beschäftigte?“

„Mit diesem Füllfederhalter haben Sie dieses Problem nicht“, sagte er. „Man kann ihn genauso einsetzen wie einen Kugelschreiber.“

Ich verrate die Marke nicht, denn hier wirklich keine Schleichwerbung. Nur so viel werde ich verraten: Ich habe den Füller gekauft und lebe mein Laster seit Monaten endlich vollauf aus. Ich fahre bestens mit meinem Laster, bin trotzdem kein Lasterfahrer geworden.

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