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Mandela und der Sprachenjunkie…

Ja, liebe Freunde der deutschen Sprache, hier eine frische Folge aus der endlosen Sprachengeschichte eines Menschen mit Migrationshintergrund, der unermüdlich bestrebt ist, diese ihm fremde Sprache zu beherrschen. Und ausgerechnet heute, am Tag der Trauerfeier für Nelson Mandela, erscheint dieser Text. Egal. Ich mache weiter. Nähere Gründe unten…

„Sorry, lieber Sprachbloggeur“, schärfte mir Freund Harald vor vielen Jahren ein, „Keiner kann eine Sprache beherrschen – auch nicht die deutsche Sprache.“

Rückblick: Harald war der erste echte Deutsche, der bereit war, mit mir lange Gespräche in seiner Muttersprache zu führen – obwohl dieses Unterfangen sehr viel Geduld erforderte.

„Sprachen beherrschen Menschen“, sagte Harald weiter, „nicht umgekehrt.“

Nebenbei: Etwas Anderes brachte mir Harald bei – und zwar nicht bewusst, also nur quasi durch sein Beispiel. Ich beobachtete, dass seine Sätze immer klar und einfach formuliert waren – das Gegenteil von meinen also. Sprechneulinge drücken sich oft sehr kompliziert aus.

Wenn es mir gelingt, klar und einfach zu schreiben, denke ich immer an Harald,.

Das nur einleitend. In dieser Folge meiner endlosen Geschichte können Sie nun zuerst zwei Beispiele meines Sprachfortschrittes lesen:

Beispiel eins: Folgenden Satz von Henrik Broder las ich gestern in der neuen „Weltwoche“: „…die anderen sagen, man solle den Einfluss des Fernsehens nicht überschätzen.“

Alsbald dachte ich: Ich finde, dass hier „überbewerten“ schöner klingt als „überschätzen“. Zu bemerken: Auch Migrationshintergründler entwickeln einen eigenen Geschmack in der Fremdsprache.

Beispiel zwei: In der gleichen Ausgabe dieser Zeitschrift stieß ich auf folgenden Satz des Journalisten Hansrudolf Kamer: „Die Ankündigung einer neuen Luftverteidigungszone im Ostchinesischen Meer hat Japan, Südkorea und auch Amerika zu Protestaktionen veranlasst.“

Hoppla, dachte ich, ich würde hier lieber „auf den Plan gerufen“ anstelle von „zu Protestaktionen veranlasst“ lesen. Doch genug des Selbstlobes.

Nun zum zweiten Teil dieser Folge aus der endlosen Sprachengeschichte:
Hier geht es um das Wort „gleichsam“. Vor etlichen Monaten hatte ich in einer Glosse mein Leid bezüglich dieses Wortes ausgiebig beklagt. Der Grund: Ich war unfähig, es in einem Satz korrekt zu verwenden.

Dem Duden zufolge bedeutet „gleichsam“ „gewissermaßen“, „sozusagen“ und „wie“. Dennoch war ich nicht in der Lage, einen funktionierenden Satz mit diesem verdammten Wort zu schreiben.

Einmal fragte mich mein Lektor, während er einen Text von mir überarbeitete: „Sagen Sie: Was soll das ‚gleichsam‘ hier für einen Sinn haben?“

„Es war schon lange mein Traum, dieses Wort in einem Satz zu schreiben“, antwortete ich.

„Ja, Sie haben recht. Es ist ein sehr schönes Wort. Nur, es passt in Ihrem Satz leider nicht.“

Inzwischen bin ich „Gleichsam-Meister“ geworden, ein Rang, der nur wenige Migrantler erreichen. Ich könnte, wenn ich wollte, „gleichsam“ gleichsam in jedem Satz korrekt verwenden. Doch ich will nicht mehr. Denn das Wort hat für mich seine Allüre verloren.

Fakt ist: Auch viele Deutsche haben, wie ich erfahre, Probleme mit dieser Vokabel, was auch verständlich ist. „Gleichsam“ steht nicht gerade im Top 100 des deutschen Wortschatzes. Es ist ein seltener Begriff, und vielleicht ein bisschen altmodisch. Falls Sie zu den Unsicheren zählen, hier ein bisschen Starthilfe: „Gleichsam“ ist gleich „quasi“. Wo man „quasi“ sagen oder schreiben kann, passt jederzeit ein „gleichsam“. Bespiel: „Tote Menschen kann man leicht instrumentalisieren. Man macht sie quasi zu ‚Posterboys‘.“ „Quasi“ mit „gleichsam“ auswechseln und voilà! Der Satz klingt auf einmal viel edeler.

Aber zurück zu Nelson Mandela. Eigentlich hätte ich heute als Medienmensch einen ganzen Text über ihn schreiben müssen, mit dem Zweck „Kundschaft“ heranzuziehen. Das macht man im Medienbusiness immer. Der Tod (auch die runden Gedenktage) eines Prominenten (Lady Di, Elvis, JFK) wirkt garantiert als Auflagenaufputschmittel.

Nein, ich habe die Gunst der Stunde nicht wahrgenommen. Sprachenjunkies kann man schwer von ihrer Sucht abbringen. To be continued…

In eigener Sache: Nächste Woche keine neue Glosse. Bin auf Geheimreise. Erst wieder zu Weihnachten.

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