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Eine etwas umständliche Geschichte über die „Volksrepublik Donezk“

Im Foto war ein wunderschöner Kölner Straßenzug zu sehen: mit Straßenbahnschienen, schnieken Häusern aus der Gründerzeit, mit emsigen Rheinländern auf den Weg durch das tägliche Mühsal. Manche lächelten sogar. Das Leben halt.

Wissen Sie, dass Menschen auf Fotos, auch wenn sie in Bedrängnis oder unglücklich sind, lächeln, scheinen manchmal sogar glücklich oder zumindest friedlich zu sein?

Frau F. zeigte mir mal ein Bild von sich bei der Ankunft in Auschwitz, im Hintergrund ein Güterzug. Hat ein SS-Fotograf geknipst. Frau F. war damals vielleicht siebzehn oder achtzehn und stand mitten in einer Traube gleichaltriger junger Frauen, alle trugen lange, wallende Röcke.

„Das bin ich“, sagte sie und zeigte auf ein hübsches, freundliches Mädchen.

„Aber Sie lächeln.“

Sie reagierte auf diese Bemerkung nicht. Auch andere junge Frauen im Bild lächelten. Junge Menschen lächeln viel, weil sie meistens voller Hoffnung sind.

„Sehen Sie die Tücher, die wir am Kopf tragen? Wir mussten den Stoff vom Rocksaum abreißen. Das war uns ärgerlich. Ach, da ist die Gitta, und da die Berta. Sie waren nach einer Stunde tot…

Und die Kölner im Bild (aufgenommen 1937) wussten auch nicht, was auf sie und ihre einst so schöne Stadt zukommen würde.

Aber lassen wir jetzt das Pathos. Nur wenige Minuten, nachdem ich mir das Kölner Bild besonnen hatte – ich war nämlich in der Pinakothek der Moderne in München – hat‘s auch mich kalt erwischt.

Was heißt „kalt erwischt“? Im Vergleich zum Schicksal von Frau F. und der Stadt Köln ist das, was ich hier zu erzählen beabsichtige, eher harmlos. Dennoch…

Ich schlenderte weiter durch die Galerieräume und hielt in Raum Acht vor einem reizenden Selbstporträt der mir bisher unbekannten Malerin Fridel Dethleffs-Edelmann (1899-1982). Die Künstlerin steht im Bild vor einem eigenen Gemälde, einer Landschaft, dessen Rahmen auch das Selbstporträt umrahmt. Die von ihr gemalte Landschaft dient also als Hintergrund fürs Selfie. Die Künstlerin, mit Pinseln in der Hand, schaut uns mit ernster Miene an. Sie trägt, wenn ich mich richtig erinnere, einen Malkittel. Ein witziges Bild, es entstand 1932.

Aus lauter Begeisterung kam ich auf die Idee, das Gemälde zu fotografieren. Klar, so ein Foto verschwindet sofort in den „Archiven“. Es zu knipsen ist lediglich der Ausdruck eines momentanen Überschwangs.

Gleiches passiert im Urlaub, wo man auch ständig losschießt. Zum Glück sind Speicherkarten billiger als früher Film, Entwicklung etc.

Aber jetzt geht’s los: Kaum hatte ich meinen Fotoapparat aus der Tasche geholt und den Objektivdeckel abgenommen, ist besagter Deckel meinen Fingern entglitten und auf den Boden gefallen.

Alles verlief wie in Zeitlupe. Hmm, dachte ich: Wäre es nicht blöd, wenn der Deckel, der vor mir hinwegkugelte, durch das Lüftungsgitter fallen würde. Das Gitter säumte am Boden den ganzen Raum. Und siehe da! Genau dies ist passiert. Zwar sah ich die „Katastrophe“ kommen, ich war aber hilflos, sie zu verhindern. Lediglich versuchte ich im letzten Augenblick mit einer unbeholfenen Fußbewegung das Unvermeidbare noch abzuhalten. Vergeblich. Flutsch. Der Deckel verschwand unter dem Gitter.

Das war bloß der Anfang einer langen Geschichte, die ich hier nur im Schnellverfahren schildern werde: Der Museumswächter schickte mich zur Info-Theke, um den Putzmann (ja, so wird er genannt – ich hätte „Reinigungsmensch“ gesagt) zu Rate zu ziehen, weil nur er das Gitter entfernen darf.

„Gehen Sie runter zur Garderobe“, sagte zu mir der Mann an der Info-Theke. „Dort finden Sie den Putzmann“

„Da ist er“, sagte der Mensch an der Garderobe und zeigte mit der Hand.

Endlich konnte ich dem Putzmann mein Anliegen vortragen „Ich habe keine Zeit“, antwortete er schelmisch. Mir fiel auf: Er genießt seine Macht.

„Kommen Sie morgen wieder.“

„Aber morgen ist Montag. Das Museum ist geschlossen“, antwortete ich.

„Egal. Kommen Sie morgen und sprechen Sie mit dem Pförtner. Er wird Ihnen bestimmt weiterhelfen.“

Ich erschien am nächsten Tag. Der Pförtner holte den Wartungsmonteur, den ich in die Galerien begleiten durfte. Ein unheimliches Gefühl in einem Kunstmuseum zu sein, wenn kein Publikum da ist, und die helle Beleuchtung abgeschaltet ist. Es ist, als würden die Bilder schlafen.

Ich habe meinen Deckel wieder erhalten und freute mich riesig. Ende der Geschichte.

Und: Zum wiederholten Mal wurde mir vor Augen geführt, wie unvorhersehbar das Leben ist.

Bin deshalb gespannt auf die neue „Volksrepublik Donezk“ und auch die von Charkow….

In eigener Sache: Nächste Woche wahrscheinlich keine Glosse.

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