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Meisterprüfung in Englisch – Erste Frage

Endlich verstehe ich, warum es Krieg gibt.

Was? Sie glauben mir nicht? Sie meinen, ich will Sie mit einem solchen provokativen Aufhänger bloß tiefer in meinen Text hineinlocken.

Weit gefehlt. Ich kann’s wirklich erklären.

Und zwar anhand von der folgenden Aufgabe:

Übersetzen Sie den beiliegenden Satz ins Deutsch: „The nature is wonderful,“ said Jean-Louis.

Achtung Fangfrage! Diese Aufgabe ist verzwickter als Sie vielleicht ahnen.
Schon fertig? Lautet Ihre Antwort etwa: ‚„Die Natur ist wunderbar“, sagte Jean-Louis?‘ Sorry, diese Antwort ist falsch.

Wieso? Ganz einfach: Der Satz, ‚„The nature is wonderful“, said Jean-Louis‘, ist schlechtes Englisch. Den Regeln des englischen Sprachgebrauchs zufolge darf man in diesem Zusammenhang „the nature“ gar nicht sagen. Korrekt wäre „nature“ – also ohne Artikel. „Nature is wonderful“ müsste es auf Englisch heißen.

Fakt ist: Wir bilden Abstrakta wie „love“, „philosophy“, „war“, „biology“ oder „nature, stets ohne Artikel. Nur wenn ein abstraktes Wort einen konkreten Bezug bekommt, wird es dann mit einem Artikel versehen: „the nature of reality“, „the philosophy of Plato“, „The War of Roses“, „the biology of marsupial digestion“ usw.

Das mit den Artikeln ist im Englischen eine verdammt komplizierte Angelegenheit. Deutsche, Franzosen, Italiener usw. müssen, wenn sie Englisch lernen, arg umdenken. Die Armen Russen und Chinesen sind besonders schlimm dran: Sie kennen in ihren Sprachen gar keine Artikel! Im Englischen hängt der Gebrauch des Artikels häufig mit der Frage zusammen, ob man etwas zählen kann oder nicht. Abstraktionen kann man verständlicherweise nicht zählen. Es gibt nur „philosophy“. Zählen kann man lediglich verschiedene philosophische Richtungen: „the philosophy of Plato“, „the philosophy of love“, „the philosophy of fools“ usw. Man kann „apples“ zählen, „love“ aber nie.

Ein Englisch Muttersprachler erkennt, wenn er ‚„The nature is wonderful,“ said Jean-Louis‘ vernimmt, sofort, dass das Englisch hier absichtlich falsch ist (freundlicher Hinweis: wegen des Namens „Jean-Louis“). Er stellt sich sogar vor, dass „Jean-Louis“ den Satz mit französischem Akzent parliert. Und so kann man’s auch schreiben. Etwa: „Zee nay-chur-r-r eez wan-der-fol.“ (Folgendermaßen auszusprechen: sie näj-tschur-r-r is uan-der-vall oder so ähnlich).

Doch zurück zur Prüfungsaufgabe: Wie soll man diesen Satz ins Deutsche übersetzen? Hier die Antwort: Man müsste ihn so übersetzen, dass man den Franzosen heraushört! (Die Sache mit dem Artikel kann man im Deutschen vergessen. „Die Natur ist wunderbar“ ist nämlich fehlerfreies Deutsch). Man könnte aber schreiben: ‚„Die Natüür, sie ieß wunder-r-r-schö-ö-ö-n, oui?“ sagte Jean-Louis.‘ Nur ein Vorschlag.

Tja. Wenn die kleinsten Partikel einer Sprache eine derartige Erklärungsnot hervorrufen, liegt es auf der Hand, dass sich die Menschen wegen der dümmsten Kleinigkeiten immer wieder in die Haare kriegen. Ja. darum gibt es Krieg. (Okay, es gibt auch andere Gründe – z.B. Machtgier usw.).

Es passiert jedenfalls blitzschnell, und plötzlich ist die Natur doch nicht mehr so wunderbar.

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