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Der Migrantler spricht den Flüchtling an

„Dein Blog ist nicht mehr zeitgemäß“, sagte G. zu mir. Wir kennen uns seit vielen Jahren, und er zählt zu den Stammlesern dieser Glosse. (Hallo G.! Grüß mir auch die Ch.!) „Deine Texte sind einfach zu harmlos.“

„Genauso will ich‘s“, antwortete ich. „Ich bemühe mich um meine Harmlosigkeit. Worüber sollte ich denn schreiben? Über den ISIS? Über die Ukraine? Über Flüchtlinge?

„Ja, über Flüchtlinge, zum Beispiel.“

„Meine Leser sind mir meine Flüchtlinge. Ich biete ihnen Zuflucht, wenn sie das Tagesgeschehen nicht mehr ertragen. Im Übrigen bin ich Sprachbloggeur und kein Kommentator für Spiegel-Online oder die Zeit usw.“

„Wobei es auch in der Politik vieles über die Sprache zu sagen gäbe.“

„Tja.“

„Schau Dir dies jetzt an.“ Nun hielt mir G. sein Handy entgegen. Es lief ein Video vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Freundliche Musik, blauer Himmel und Abbas, ein nett aussehender junger irakischer Flüchtling mit schnieke gestutztem Bart. Von Musik untermauert geht Abbas seinen Weg. Ein Sprecher erklärt dem Zuschauer alle Schritte, die für Abbas nötig sind, um sich in Deutschland als Flüchtling zu registrieren. Abbas zeigt seine Papiere, wird medizinisch untersucht, interviewt usw. Das Video dauert 17 Minuten.

„Das schau ich mir nicht ganz an“, sagte ich zu G. nach wenigen Minuten. „Was hat es mit dem Sprachbloggeur zu tun?“

„Es geht um die Sprache“, antwortete er. „Das BAMF hat dieses Video in zig Sprachen produziert und es überall zugänglich gemacht, damit Syrer, Iraker, Perser, Albaner usw. sich im Voraus informieren können, wie das läuft, wenn sie nach Deutschland kommen. Sie werden also regelrecht angelockt!“

Am nächsten Tag guckte ich mir das Video im Internet an. Man findet es ebenso schnell wie die Enthauptungspornos. Tut mir leid, G., ich hab nix Sprachliches entdeckt, worüber ich gern geschrieben hätte.

Eins ist mir allerdings aufgefallen: Abbas steht im Film mutterseelenallein da, und alle Beamten wirken entspannt, als würden sie endlos Zeit für ihn haben. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Abbas steht mit Tausenden Leuten Schlange, manche von ihnen sind seine Feinde. Er wartet ewig, bis er endlich dran ist. Man hat aber wenig Zeit für ihn, und die Beamten sind arg strapaziert.

„Die Deutschen haben ein großes Problem“, sagte G. zu mir. Sie wollen unbedingt ‚Gutmensch‘ spielen, stets um ihr Image im Ausland bemüht.“

Auch wenn er recht hat, darf ich so etwas öffentlich nicht behaupten. Ich bin, wie meine Leser wissen, Migrantler, ausländischer Mitbürger oder wie auch immer man das nennen will. Ich hab nicht einmal einen deutschen Pass. Das bedeutet nicht, dass ich mir keine Meinung übers hiesige politische Geschehen erlaube. Das tu ich aber nur als Außenstehender. Ich sage nie „wir Deutsche“. Das steht mir nicht zu. Es bleibt nur Deutschen überlassen, sich so deutlich über sich selbst zu äußern.

„Auch die Medien spielen ‚Gutmensch‘“, sagte G. Man zeigt Fotos von süßen, traurigen Flüchtlingskindern oder von Prominenten, die auf Willkommenpartys Flüchtlinge herzlich umarmen. Man erfährt fast gar nichts von den IS-Schläfern, die sich hier niederlassen. Auch die Details über die randalierenden Flüchtlingen, die ‚Allahu Akbar‘ skandierten, weil jemand angeblich eine Seite aus einem Koran rausriss, werden wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Und was ist mit den ‚Flüchtlingen‘, die die Christen ins Mittelmeer schmissen? Wehe, wenn man sich kritisch äußert. Man wird als ‚Pack‘ bezeichnet oder mit dem ‚N‘-Wort behaftet.“

Da ich nämlich selbst das Enkelkind von Flüchtlingen bin, von Menschen, die damals aus Europa vertrieben wurden und Zuflucht in den USA suchten, hab ich, lieber G., eine eigene Meinung über Flüchtlinge. Meine Großeltern blieben Zeit ihres Lebens Außenseiter. Es war kein einfaches Schicksal. Sie wollten aber, dass ihre Kinder es besser haben. Mein Vater wurde seine Komplexe trotzdem nie los. Er hatte furchtbare Angst, nicht als Amerikaner zu gelten und herrschte mich jedes Mal mit glühenden Augen an, wenn ich die Satzmelodie meiner Großeltern nachmachte. „Hör doch auf! Du wurdest hier geboren.“

Und nun bin ich selbst seit Jahrzehnten Migrantling. Echte Flüchtlinge – wie meine Großeltern –verlassen ihr Land nicht aus Spaß, sondern weil sie bedroht sind.

Doch nun ein Wort an die lieben Flüchtlinge: Willkommen in Deutschland, liebe Flüchtlinge. Es ist ein fremdes Land, wo Sie sich nie ganz zuhause fühlen wird – auch wenn Sie die Sprache einigermaßen beherrscht haben. Jahrelang werden sie als Nobody gelten. Vielleicht werden Ihre Kinder hier mal heimisch fühlen. Das heißt: wenn sie sich gut integrieren. Tun sie das nicht, wird Deutschland in 20 Jahren ein schreckliches Land sein: voll mit Parallelgesellschaften und No-go-Zonen. Alles ist möglich.

Das war schon immer das Schicksal von Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Ich weiß ganz genau, wovon ich rede.

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